Zurück

Das Magnetkonzept: Eine Antwort auf den Fachkräftemangel

25.08.2015

Ein Beitrag von Dr. Patricia Hänel, Medizin-Konzepte, Berlin

Dr. Patricia Hänel über das Magnetkonzept in der PflegeDr. Patricia Hänel, Medizin-Konzepte, Berlin.
Gute Pflegefachkräfte sind heutzutage eine umworbene Mitarbeitergruppe. Kaum ein Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung, die nicht über Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung klagen. Deutschland steht damit nicht alleine da, weltweit werden gute Pflegekräfte umworben und Arbeitgeber fragen sich, wie sie im Wettbewerb um gute Mitarbeiter trumpfen können.

Dabei beschäftigen sich immer mehr Einrichtungen damit, wie sie als Arbeitgeber attraktiver werden können, so dass Pflegekräfte gerne, engagiert und langfristig bei ihnen arbeiten. In den USA etabliert sich seit den 1980er Jahren eine Bewegung, die den Fachkräftemangel in der Pflege durch Schaffung guter Arbeitsbedingungen für Pflegende angeht. „Magnetkräfte“ werden dort diejenigen Eigenschaften genannt, die die Arbeitsbedingungen attraktiver Einrichtungen von anderen unterscheiden.

How it all began

In den 1980er Jahren zeigte sich in den USA erstmals ein schmerzhafter Fachkräftemangel in der Pflege. Entgegen diesem allgemeinen Trend gab es jedoch einige Krankenhäuser, die keine Probleme hatten Pflegekräfte zu bekommen und sie zu halten. Was unterschied diese Krankenhäuser von anderen? Die American Academy of Nursing (AAN) untersuchte 163 Krankenhäuser und fand darunter 41, denen es leichter fiel, Pflegekräfte anzuziehen und zu halten. Die Eigenschaften, die diese Krankenhäuser von anderen unterschieden, wurden fortan als „Magnetkräfte“ bezeichnet, die dazu führen, dass „Magnetkrankenhäuser“ Pflegekräfte magnetisch anziehen und halten. Anfang der 1990er Jahre entwickelte das American Nurses Credentialing Center (ANCC) aus diesen Magnetkräften einen Kriterienkatalog, nach dem sich Krankenhäuser offiziell als Magnetkrankenhäuser zertifizieren lassen konnten. 1994 wurde das University of Washington Medical Center in Seattle das erste zertifizierte Magnetkrankenhaus. Seither wurden die Magnetkräfte vielfach untersucht und modifiziert. Heute gibt in den USA ca. 400 Magnetkrankenhäuser, die sich einer aufwändigen Zertifizierung stellen und regelmäßig rezertifiziert werden. Der Magnetstatus gilt dort als ein wichtiger Parameter für die Attraktivität eines Hauses sowohl als klinischer Versorger als auch als Arbeitgeber für Pflegekräfte.

Nicht nur für die Mitarbeiter gut

Seit der Etablierung des Magnetkonzeptes zeigten zahlreiche Studien deutliche Zusammenhänge zwischen den magnetischen Eigenschaften einer Einrichtung und der Mitarbeiterzufriedenheit. Bezüglich Krankheitshäufigkeit, Burn out-Raten, Arbeitszufriedenheit oder Anstellungsdauer von Pflegenden schneiden Magnetkrankenhäuser deutlich besser ab als andere Häuser (Kelly, 2011; Laschinger, 2003; McHugh, 2013).

Zufriedene Mitarbeiter beeinflussen die Qualität der Patientenversorgung, regelmäßig weisen Magnetkrankenhäuser daher geringere Komplikations- und Mortalitätsraten auf (McHugh, 2013), haben geringere Fehlerraten und kürzere Liegedauern als ihre Konkurrenten (Desmedt, 2012).

Was sind diese Magnetkräfte?

Was nun macht ein Magnetkrankenhaus anders und besser als andere Krankenhäuser? Seit der ersten Untersuchung aus den 1980er Jahren sind die Magneteigenschaften immer wieder getestet, modifiziert und strukturiert worden. Heute konzentriert man sich auf insgesamt 14 zentrale Aspekte (FOM = forces of magnetism), die in fünf Gruppen eingeteilt sind:

I. Transformationale Führung

Diese Gruppe beschreibt die Eigenschaften der zentralen Führungsfiguren (in der Pflege). Pflegeführungskräfte in Magnetkrankenhäusern erhalten nicht den Status Quo und lösen Probleme, sondern verändern (transformieren) Strukturen und das Verhalten der Mitarbeiter in Richtung einer Weiterentwicklung auf ein höheres Niveau. Dazu benötigen sie eine klare Vision der zukünftigen Herausforderungen, unternehmensinternen Einfluss, um Strukturen zu verändern, gute Vernetzung mit anderen Abteilungen und Berufsgruppen, exzellente kommunikative und klinische Kompetenzen und eine klare Vorstellung der professionellen Rolle der Pflege. Um neue Lösungen zu finden, müssen sie Mut zu ungewöhnlichen Maßnahmen haben und Unsicherheit und Durcheinander aushalten können. Transformationale Führungskräfte werden als Vorbild respektiert, leben Ziele und Werte vor, motivieren ihre Mitarbeiter dazu, hinzuzulernen, selbständig zu werden und an den gemeinsamen Zielen mitzuarbeiten. Sie orientieren sich an den Ergebnissen der Arbeit.

II. Strukturelles Empowerment der Pflege

Strukturelles Empowerment bedeutet, dass die Pflege auf allen Ebenen der Organisation systematisch an Entscheidungen beteiligt ist, autonom über ihre Pflegepraxis entscheiden kann, eine wertschätzende Beziehung zu anderen Berufsgruppen, besonders MedizinerInnen besteht und Pflegende systematisch in ihrer professionellen Weiterentwicklung gefördert werden.

III. Exemplarische Professionelle Praxis

In Magnetkrankenhäusern arbeiten Pflegende nach professionellen, evidenzbasierten Pflegemodellen, haben ein klares Verständnis ihrer Rolle, Aufgaben und Standards und formulieren diese deutlich und konsequent gegenüber Patienten, Angehörigen, Gesellschaft und interdisziplinärem Team. Die Ergebnisse guter Pflege werden gemessen, kommuniziert und als Teil der interprofessionellen Patientenversorgung angesehen.

IV. Neues Wissen, Innovationen und Verbesserungen

Die Pflege in Magnetkrankenhäusern orientiert sich an der aktuellen Evidenz, verfolgt die Entwicklungen in der medizinischen und Pflegeforschung und überarbeitet ihre Prozesse regelmäßig anhand neuer Erkenntnisse. Engagement in (Pflege)Forschung ist gefragt, die Mitarbeiter sollen und wollen sich an der Entwicklung neuer Pflegemodelle beteiligen und haben die Herausforderungen einer sich ändernden Gesellschaft im Blick.

V. Empirische Outcomes

Die Ergebnisse der Pflegepraxis müssen regelmäßig untersucht werden. Die Ergebnismessung erfolgt quantitativ und qualitativ und misst klinische Outcomes, Mitarbeiteroutcomes, Kundenoutcomes und organisatorische Outcomes. Idealerweise dienen diese Messungen auch dazu, sich dem Vergleich mit anderen Einrichtungen zu stellen und Benchmarks aufzustellen.

Magnete für Deutschland?

Das Magnetkonzept wird zunehmend auch in Deutschland zum Thema. Noch findet diese Diskussionen vornehmlich in der pflegewissenschaftlichen Szene statt, dabei gehört es doch viel stärker in die tägliche Praxis der Krankenhausleitungen und Personalverantwortlichen. Magnetkräfte können dort als Leitplanken dienen wenn Denkweisen und Strukturen geändert werden sollen und damit langfristig als Arbeitgeber zu trumpfen, gute Pflegekräfte zu binden und zugleich die Qualität der Versorgung zu verbessern.

 

 


Patricia Hänel, www.medizin.konzepte.de, Berlin, ist Ärztin und forscht am Institut für Allgemeinmedizin der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg und der Alice Salomon Hochschule Berlin zu Arbeitsmotivation, Arbeitsbedingungen und Kommunikation im Gesundheitswesen. Aus langjähriger Berufserfahrung in Medizin und Pflege, in leitender Position als MVZ-Leiterin, als Entwicklerin von medizinischen Versorgungsprojekten (Fallmanagement, DMP, Integrierte Versorgung) und Verhandlungsführerin von Versorgungsverträgen kennt sie Arbeitswirklichkeit und Positionen aller wichtigen Akteure im Gesundheitswesen. Sie verbindet diese praktische Erfahrung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und eigenen Forschungsergebnissen und vermittelt dieses Wissen als Beraterin und Trainerin. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen medizinische Kommunikation, Motivation und Arbeitsbedingungen in medizinischen Einrichtungen, Führungskräftetraining, Teamentwicklung, Fehlermanagement, Entwicklung und Umsetzung innovativer Versorgungskonzepte. Zu ihrem Team gehören Trainerinnen und Trainer aus verschiedenen medizinischen Berufsgruppen. Dr. Hänel ist Mitglied im Aktionsbündnis Patientensicherheit und der Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin e.V..

Patricia Hänel wird auch auf unserem Medical Recruiting Dinner am 27. November in Berlin anwesend sein und einen Impulsvortrag mit dem Thema “worldwide working migration of medical staff” halten. 




geschrieben von Ulrike Röse-Maier